als PDF lesen

Erschienen in: annabelle, 11.09.2020

Die Rechnung, bitte!

Wie viel Geld habe ich einmal im Alter? Drei Autorinnen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen haben es ausgerechnet. Spoiler: Alle sind erschrocken.


Ein Thema, das etwa so sexy ist wie Wohlfühlleggins und ungleiche Socken mit Löchern am grossen Zeh: die Altersvorsorge. Doch ob wir das Thema spannend finden oder nicht, es kann uns genau dann einholen, wenn wir denken, es endlich geschafft zu haben. Noch immer haben Frauen im Durchschnitt ein Drittel weniger Rente als Männer, wobei neunzig Prozent der Rentendifferenz laut einer Swisslife-Studie aus der beruflichen Vorsorge stammen. Daran wird sich auch in nächster Zeit nichts ändern, prognostizieren Experten.

Spannend ist, dass die Gründe für den sogenannten «Gender Pension Gap» nicht nur in der Tatsache zu suchen sind, dass Frauen noch immer für die gleiche Arbeit schlechter entlöhnt werden. Auch nicht darin, dass sie eher Berufe wählen, die finanziell weniger attraktiv sind. In den meisten Fällen führen Teilzeitpensen zu den Lücken in der Vorsorge. Denn noch immer sind es vorwie- gend die Frauen, die weniger arbeiten, sobald Kinder kommen.

Im hektischen Familienalltag kommen Themen wie die langfristige finanzielle Absicherung oft zu kurz. Gut ein Drittel der Frauen haben «keine Ahnung», wie viel Geld sie bereits angespart haben, das zeigt eine Umfrage eines Versicherungsanbieters. Dieses Unwissen könne grobfahrlässig sein, sagt Lisa Spaar von der Frauenzentrale Zürich. Denn nur, wer seine Vorsorgeleistung kenne, merke auch, dass 300 Franken mehr oder weniger Lohn pro Monat später viel ausmachen können. Deshalb empfiehlt sie, den Lohn «knallhart» zu verhandeln, Unsicherheiten bezüglich Vorsorgeverfahren abzubauen und auch bezüglich Fonds und Aktien «mutiger zu sein».

Aufforderung genug für unsere drei Autorinnen, ihre eigene Situation genauer unter die Lupe zu nehmen. Und es zeigte sich: Je länger sie sich mit dem Thema beschäftigten, umso klarer wurde ihnen, dass wir viel mehr über Geld sprechen sollten. Nur wenn die Einkommen transparent sind, werden Lohndiskriminierungen überhaupt bemerkt. Nur wenn einem früh genug klar wird, dass man sich in eine Altersarmut hineinarbeitet, bleibt genug Zeit für die richtigen Gegenmassnahmen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn wie wir mit diesem Thema umgehen, das sich so lang so leicht wegschieben lässt, ist stark mit unserer Persönlichkeit, Biografie und Lebenssituation verschlungen.

Es ist nicht sonderlich romantisch, wenn man in einem Konkubinat dem Partner vorrechnet, welche Aus- gleichszahlung er einem schuldig ist. Es ist keine schöne Vorstellung, sich bei der Scheidung um die Vorsorgegelder zu zoffen. Und dennoch würde der Schlüssel einer gleichberechtigten Beziehung darin liegen, genau diese Dinge egalitär aufzuteilen, so dass kein Machtgefälle entsteht, weil niemand von der Rollenteilung stärker profitiert. Sich mit dem Thema Vorsorge zu beschäftigen, heisst auch, ein Stück weit sein Leben zu durchleuchten. Und in die Zukunft zu blicken. Davon erzählen die drei folgenden sehr persönlichen Geschichten. Rahel Bains hat gemerkt, dass sie als verheiratete Mutter zwar abgesichert ist, aber dennoch vom Staat mit der Plafonierung der Renten bei der Alters- und Hinterbliebenenversicherung abgestraft wird. Seraina Kobler hat beschlossen, nie zu heiraten. Viel wichtiger als der Trauschein war ihr, dass Vater und Mutter zu gleichen Teilen für die Kinder sorgen. Dieser Teil des Plans ist aufgegangen, doch ganz so einfach ist es dann eben doch nicht. Das hat auch Melanie Keim gemerkt, aber in puncto Selbstständigkeit. Wie kann es sein, dass eine Frau wie sie, beruflich erfolgreich, studiert, mit Anfang dreissig keine zweite Säule hat? Am Ende war da ein Couvert, dass sie sich wochenlang nicht traute, zur Post zu bringen.

Seraina Kobler

«ICH WILL MICH NICHT VOM STAAT ZUR HEIRAT NÖTIGEN LASSEN»

Seraina Kobler (37) ist freie Autorin, ledig und hat vier Kinder: Mattea (3), Ida Maria (5), Yann (10) und Juri (13). Sie lebt in einer Patchworkfamilie, zahlt seit zehn Jahren in die Pensionskasse ein und hat keine Ahnung, was das bedeutet.

Durchschnittlicher Monatslohn der letzten Jahre, brutto: 4500 Franken

Arbeitspensum: zwischen 60 und 80 Prozent

AHV*: 1858 Franken

PK*: 1062 Franken

Total: 2920 Franken

* Monatliche Rente ab dem regulären Pensionierungsalter (64) nach aktuellem Stand der geleisteten Vorsorgezahlungen

«Ich war zu einer Zeit Kind, als die Scheidungsrate in der Schweiz steil nach oben zu klettern begann. Die Gründe wären eigentlich erfreulich gewesen: steigender Wohlstand und eine bessere Stellung der Frau im Scheidungsrecht. Eigentlich. Denn in der Praxis wurden vor Gericht erbitterte Kämpfe geführt, deren Urteile die traditionelle Rollenverteilung zementierten. Die Frau sorgte für die Kinder. Der Mann zahlte und sah seine Kinder statt jeden Tag plötzlich nur noch jedes zweite Wochenende für ein paar Stunden. Das war vielleicht mit einer der Gründe, warum «Mrs. Doubtfire» damals einer meiner Lieblingsfilme war. Dort spielt Robin Williams einen Vater, der sich – als alte Dame verkleidet – in seinen ehemaligen Haushalt einschleicht, um den Kontakt mit seinen drei Kindern nicht zu verlieren. Im Laufe der Handlung fliegt seine Tarnung als Nanny auf. Doch am Ende lässt sich die Mutter erweichen und teilt das Sorgerecht mit ihm. Happy End.

Im richtigen Leben sah es bei mir anders als. Meinen Vater kannte ich lang nur von vergilbten Fotos. Meine beiden leiblichen Eltern waren mehrmals verheiratet und wurden mehrmals geschieden. Man könnte sagen, ich bin so etwas wie ein multiples Scheidungskind. Das hat sich so tief in mich eingegraben, dass ich mir immer geschworen hatte: Ich werde es einmal ganz anders machen. Und der einfachste Weg, dies zu tun, war, gar nicht erst zu heiraten. Als ich dann selbst Mutter wurde, waren mir Dinge wie eine egalitäre Aufteilung der Betreuung, Studium und Berufseinstieg wichtiger als langfristige Sicherheiten. Ich wollte Geld verdienen wie er – und er sollte ebenso die Fingernägel des Babys schneiden können und zuhause bleiben, wenn es Fieber hat. Ich würde sagen, dieser Teil ist gelungen. Auch oder gerade wegen unserer Situation als Patchworkfamilie. Zum Vater meiner beiden älteren Söhne habe ich ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Bei ähnlichem Einkommen teilen wir uns alles 50:50 auf. Keiner muss dem anderen etwas zahlen.

Mein jetziger Partner verdient mehr als ich, was nicht nur daran liegt, dass er ein höheres Pensum in seinem Job hat, sondern auch daran, dass dieser besser entlöhnt wird. Dennoch bleibt am Ende des Monats nicht viel übrig, weil wir zusammen seine Ex-Frau und die Kinder aus der Vorbeziehung vollumfänglich finanzieren, solang sich diese in Aus- und Weiterbildung befinden. Deshalb stagnieren die Abgaben an meine Pensionskasse seit Jahren auf eher tiefem Niveau. Während die Arbeitgeber bei meinem Partner auf den vollen Lohn einzahlen. Was bei ihm zu einer dreimal höheren Leistung nach der Pensionierung führt. Und immer wieder kommt mir eine befreundete Juristin in den Sinn, die schon vor Jahren festgestellt hat, dass es nur eine Lösung gebe, wenn sich eine Mutter absichern wolle: heiraten. Doch für mich war schon damals klar: Ich will mich nicht vom Staat zu einer Heirat nötigen lassen. Ich bin erwachsen! Ich habe studiert! Ich arbeite! So weit meine Überzeugung. In meinen Zwanzigern liess sich die auch problemlos aufrechterhalten. Doch jetzt, zehn Jahre später, kommen Zweifel auf. Zweifel, die ich als kinderlose Frau vielleicht nicht hätte. Weil sich ein höheres Pensum wegen Progression und Kita-Rechnungen schon seit Jahren finanziell nicht lohnt. Weil ich einerseits früh und dann nochmals später Mutter wurde. Weil das Leben mit fünfzig plötzlich nicht mehr vorbei ist. Testament. Patientenverfügung. Altersvorsorge. Immer wieder aufgeschoben, türmen sie sich auf, so lang, bis es unangenehmer ist, sich nicht darum zu kümmern, statt sich darum zu kümmern. Nur, wenn hier Transparenz und Klarheit herrscht, lassen sich rechtzeitig die richtigen Massnahmen ergreifen. In meinem Falle wäre das etwa ein höherer Rückeinkauf in die Pensionskasse oder eine private dritte Säule, welche von meinem Partner mitgetragen wird. Sobald meine jüngs- te Tochter in die Schule kommt, öffnet sich ein Zeitfenster, um auch beruflich nochmals Vollgas zu geben. Und wer weiss, vielleicht ist irgendwann auch Heirat eine Option. Aber wenn, dann aus freien Stücken.»

Melanie Keim

«WER NACHHALTIGKEIT SCHREIT, MUSS AUCH VORSORGEN»

Melanie Keim (32), freischaffende Journalistin, ledig, ohne Kinder, hat bis jetzt noch nicht in eine Pensionskasse eingezahlt und dafür zig Ausreden gefunden. Dieses Denken findet sie eigentlich unverantwortlich und kindisch, doch es passe auch so gut zu ihrer Generation.

Durchschnittlicher Monatslohn der letzten Jahre, brutto: 3500 Franken

Arbeitspensum: 100 Prozent

AHV*: 1050 Franken

PK*: 0 Franken

Total: 1050 Franken

«Wie kann es sein, dass eine gut ausgebildete, intelligente Frau mit 32 noch keine Pensionsgelder eingezahlt hat?» Meine Kollegin brachte es auf den Punkt. Ihre Frage entlarvte meine prekäre Vorsorgesituation. Und gleichzeitig verlangte sie eine Antwort, die über meine individuelle Geschichte hinausgeht. Eine Antwort, die etwas über meine Peergroup verrät, die als Generation Praktikum den Glauben an sichere Anstellungsverhältnisse verloren hat und als Generation Maybe etwas so Solides wie Vorsorgelösungen lieber auf später verschiebt. Doch beginnen wir bei mir.

Meine Karriere verlief nicht wirklich geradlinig. Ich studierte, mit Praktikum hier, Auslandaufenthalt dort, nicht gerade schnell. Mit 25 brach ich mein Studium ab und als ich nach einem halben Jahr in einer Werbeagentur ohne Job dastand, wurde ich selbstständig. Bis heute bin ich es geblieben. Ich wurstelte mich als freischaffende Journalistin durch, bezahlte die obligatorischen AHV-Beiträge ein, doch für Pensionsgelder, die ich als Selbständige nicht bezahlen muss, blieb am Anfang schlicht nichts übrig. Das sagte ich mir zumindest. Wenn meine Mutter und mein Stiefvater das Thema Vorsorge wieder einmal ansprachen, reagierte ich gereizt, fühlte mich unverstanden. Sie kannten ja nur Festanstellungen und als sie in meinem Alter waren, rissen sich die Arbeitgeber um sie.

Und sowieso: In meinem Alter war es nicht tragisch, keine Pensionsgelder zu bezahlen. Spätestens mit dreissig würde ich einzahlen, nahm ich mir vor. Aber Deadlines, die man sich selbst setzt, kann man bekanntlich verschieben. Ich ging mit 28 zurück an die Uni, mit dreissig schrieb ich meine Masterarbeit. Die Pensionskassengelder ins knappe Budget reinzubringen, war mir schlicht zu stressig. Und als ich mit 31 endlich fertig war, musste ich mir erst einmal wieder meine Kundschaft und ein finanzielles Polster aufbauen. Dass ich bis heute keine Pensionsgelder eingezahlt habe, hat nicht nur mit meiner Situation als Selbständige und den zum Teil miserablen Honoraren in der Medienbranche zu tun. Sondern auch damit, dass ich wie viele in meinem Alter Dinge des Erwachsenwerdens gern herausschiebe. Vorsorge? Tönt spiessig. Sparen? Können wir später. Auf Ferien, Restaurants, Kaffee hier, Bier dort verzichten? Schwierig. Und überhaupt sind wir in der Schweiz doch überversichert, sagte ich mir. Zu all dem kam der Gedanke hinzu, dass wir schlicht nicht mehr wissen, was mit unseren Geldern einmal passiert. Dass meine Freundinnen beim Thema Renten ebenfalls die Augen verdrehten und laut seufzten, weil sie das alles auch nicht so recht verstehen, machte es mir noch leichter, das unangenehme Thema hinauszuschieben.

Als ich mich für diesen Artikel mit etwas Distanz damit beschäftigte, wurde mir bewusst, dass diese Haltung so gar nicht zu meinen sonstigen Überzeugungen passt. Wenn es um die Umwelt geht, schreien wir laut «Nachhaltigkeit», im letzten Jahr gingen wir alle auf die Strasse, um für Gleichberechtigung und Lohngleichheit zu kämpfen. Doch wenn es um etwas finanziell so Entscheidendes wie unsere Renten geht, sind wir zu faul, uns zu informieren? Das geht nicht auf. Dass wir uns besser informieren sollten, wurde auch bei einem Crash-Kurs des VPOD zur Altersvorsorge überdeutlich. Im Publikum sassen praktisch keine Frauen unter vierzig. Dafür gab es einige Frauen, die offenbar kurz vor der Pensionierung stehen und erst jetzt bemerken, dass ihnen mit ihren tiefen Teilzeitpensen fast keine Pensionsgelder zustehen. Auch ging ein Raunen durch das Publikum, als alt Nationalrätin Christine Goll erklärte, dass die AHV-Renten gemäss Verfassung existenzsichernd sein müssten. Wieso wusste ich das nicht? Mir wird klar, dass wir Frauen für eine faire Ausgestaltung unseres Vorsorgesystems kämpfen müssen. Je länger ich mich mit dem Thema auseinandersetze, desto besser verstehe ich, was für eine wichtige Errungenschaft unser Rentensystem ist. Schliesslich bildet es die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und dafür, dass wir im Alter nicht auf die finanzielle Unterstützung unserer Familien angewiesen sind.

Mitte Februar entschloss mich endlich dafür, 12.5 Prozent meines Einkommens in eine Pensionskasse einzubezahlen. Doch dann stand am Ende des Formulars diese Frage, die meine Entscheidung weiter hinauszögerte: Ob ich meine Gelder im Todesfall meinem Partner zukommen lassen möchte. Dass ich das will, ist klar. Doch der Entscheid fühlte sich wie ein grosser Schritt an. Vor mir lag das erste Dokument, mit dem ich mich offiziell für die Zukunft mit meinem Freund entscheide. Ich legte das Couvert zur Seite, dann kam Corona und mit den Einbrüchen der Werbeeinnahmen in der Medienbranche wieder Unsicherheit. Geht es weiterhin aufwärts mit meinem Lohn? Bleibt auch in diesem Jahr genug übrig für all das, worauf ich nicht verzichten will? Es sind wieder die alten Fragen, die alten Ausreden. Heute Morgen habe ich das Couvert endlich abgeschickt. Es hat sich gut angefühlt.»

Rahel Bains

«WAS IST, WENN WIR DANN PLÖTZLICH ALLEIN DASTEHEN?»

Rahel Bains (31), Redaktorin, verheiratet, drei Kinder: Yuna (2), Mael (6) und Daliyah (9).

Sie hat mit ihrem Mann jahrelang das Modell «Mann: Vollzeit, Frau: Teilzeit» gelebt. Was das für ihre Vorsorge bedeutet, war ihr lang nicht bewusst.

Durchschnittlicher Monatslohn der letzten Jahre, brutto: 2450 Franken

Arbeitspensum: 30 bis 60 Prozent

AHV*: 1131 Franken

PK*: 719 Franken

Total: 1850 Franken

«Obwohl mein Mann und ich für heutige Verhältnisse früh – sprich gleich nach beziehungsweise noch während des Studiums – Eltern geworden sind, wollten wir nie zu denen gehören, die «nur» der Kinder wegen heirateten. Hochzeit gefeiert haben wir trotzdem und zwar vor vier Jahren am Ufer der Limmat. Als ich an jenem Tag in meinem seidenen Jupe, in der einen Hand ein Glas Rotwein, in der anderen die Hand meines Mannes, zu Drakes «Shut It Down» tanzte, dachte ich nicht im Entferntesten daran, dass wir nur wenige Monate später die finanziellen Auswirkungen unseres soeben geschlossenen Bündnisses ziemlich heftig zu spüren bekommen würden. Nicht nur steuertechnisch, sondern auch bezüglich Prämienverbilligungen: Bäm! 4000 Franken im Jahr gestrichen. Kulturlegi: tschüss. Und dann erst die Heiratsstrafe! Die Summe beider Renten eines Ehepaars ist heute auf 150 Prozent, also nur eineinhalb Renten gedeckelt. Verheiratete und eingetragene Paare erhalten so im schlechtesten Fall pro Monat also bis zu 1200 Franken weniger Rente als Konkubinatspaare. Die CVP will sich übrigens im Parlament für die Abschaffung der Heiratsstrafe durch eine Plafondanhebung in der AHV stark machen.

Nein, als mich mein Mann vier Jahre zuvor an einem kalifornischen Strand fragte, ob ich ihn heiraten will, habe ich das Thema Geld beziehungsweise unsere Vorsorgeplanung in die hinterste Ecke meiner Gedanken verbannt. Dafür dachte ich an unsere Tochter, die neben uns mit ihren kleinen Fingern Sandkörner in den Mund beförderte, und an all die Abenteuer, die noch vor uns lagen. Damals war ich Anfang zwanzig. Nun, fast zehn Jahre später, haben wir drei Kinder, und in mir erwacht mehr und mehr das Bewusstsein für die finanziellen Lücken, die sich erst im Alter zu erkennen geben werden. Ich las vom Gender Pension Gap, der bei verheirateten Frauen wie mir am grössten sein soll. Auch wenn Frauen im Arbeitsmarkt heute viel aktiver sind, als es die Generation unserer Mütter war – in der Schweiz sind es immer noch oft die Frauen, die ihr Arbeitspensum reduzieren, sobald Nachwuchs da ist. Auch mein Mann und ich haben einige Jahre nach diesem Schema gelebt: Er arbeitete mit einem 100-Prozent-Pensum in der Werbebranche, ich wandelte nach dem Mutterschaftsurlaub meine Vollzeitstelle als Redaktorin in eine Teilzeitstelle um. Zwar fest angestellt, doch der Lohn zu klein, als dass es für Pensionskassen-Beiträge gereicht hätte. Denn erst ein jährlicher Lohn ab 21 330 Franken wird obligatorisch versichert.

Viele meiner Freundinnen, die sich selber als unabhängig und selbstbestimmt bezeichnen würden, leben ebenfalls nach dem oben beschriebenen Modell. Mit einigen sass ich vor ein paar Wochen am langen Holztisch in unsere Küche. Der Prosecco floss und die Stimmung war ausgelassen – bis ich unvermittelt das Stichwort «Altersvorsorge» in die Runde warf. Das Gelächter verstummte. Auf meine Frage, ob sie denn wüssten, wie es um ihre finanzielle Vorsorge steht, erntete ich nur beschämtes Kopfschütteln. «Mein Mann hat sich eine dritte Säule eingerichtet», war so ziemlich alles, was kam.

Natürlich sind jene verheirateten Frauen, die bis ins hohe Alter mit ihrem Partner eine Einheit bilden, nicht gleich vom Gender Pension Gap betroffen. Dennoch müssen sich angesichts der Statistik, die besagt, dass zwei von fünf Ehen geschieden werden, alle mit der Frage befassen, was genau passiert, wenn man doch plötzlich allein dasteht. Reicht dann meine Teilzeitarbeit, um genug fürs Alter zu sparen? Die Antwort liefert ein Altersvorsorge-Rechner: tut sie nicht. «Die Gleichung ist eigentlich ganz einfach: Je weniger du verdient hast, desto weniger Rente gibt es am Schluss. Das ist vor allem den Frauen oftmals nicht so bewusst», macht mir Lisa Spaar, Vorstandsmitglied der Frauenzentrale Zürich und verantwortlich für das Ressort Altersvorsorge, in einem Gespräch klar. Immerhin würde im Falle einer Scheidung das Guthaben aus der berufli- chen Vorsorge 50:50 aufgeteilt. So soll verhindert werden, dass diejenige Person, die während der Ehe Betreuungsaufgaben wahrgenommen hat und deshalb nicht über eine ausreichende eigene berufliche Vorsorge verfügt, bei einer Scheidung benachteiligt wird.

Vor zwei Jahren stockte ich meine Stellenprozente auf, mein Mann nahm einen neuen Job an, der ihm Gelegenheit bot, zumindest für einige Zeit mehr als nur den klassischen «einen Papitag» wahrzunehmen. Spaar empfiehlt mir und meinem Mann, nun beide vorübergehende Teilzeitler, zwei Dinge: Einerseits sollen wir meine bisherigen und seine allenfalls künftig entstehenden Lücken in der Pensionskasse nachzahlen. Zudem soll sich jeder von uns eine Säule 3a zulegen. Für Letztere gibt es neuerdings einfach zu bedienende Apps, dank deren man innerhalb von zehn Minuten ein individuelles Vorsorgekonto eröffnen kann. «Diese Apps werden womöglich die mit der Thematik verbundenen Hemmschwellen sinken lassen», so Spaar. Mir fällt der Versicherungsvertreter ein, der seit einem Jahr auf eine Unterschrift für den 3.-Säule-Vertrag wartet, den er für uns ausgearbeitet hat. Ich glaube, ich werde ihn bald mal anrufen.»

Altersvorsorge berechnen: Einfacher als gedacht

In der Vorstellung wälzt man stundenlang irgendwelche Broschüren. In der Praxis braucht es ein paar Klicks und etwas guten Willen, sich mit dem Resultat auseinanderzusetzen. Heute packen wirs an!

1. Bei der zuständigen Ausgleichskasse den AHV-Nachweis über die gesammelten Einkommen anfordern

2. Den AHV-Rechner vom Bund mit allen Informationen füttern: http://acor-avs.ch/conditions

3. Falls vorhanden: Nachweis über die gesammelten Pensionskassengelder oder die Gelder aus Freizügigkeitskonten bestellen, inklusive der Bitte um Aufschlüsselung der konkreten Altersguthaben pro Monat

4. Manchmal gehen bei Jobwechseln Gelder vergessen. Diese Stiftung sammelt sie und zahlt sie auf Anfrage aus: https://web.aeis.ch/DE/home

5. Dito dritte Säule, falls vorhanden

6. Zusammenrechnen

7. Falls nötig, Massnahmen ergreifen wie Ausgleichszahlungen in einem Konkubinat, wenn sich die Einkommen unterscheiden. Allfällige Löcher mit höheren Rückeinkäufen füllen, Pensum aufstocken oder sich bei einer Fachstelle wie der Frauenzentrale beraten lassen